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Das ist also mein Leben 201 + 13

Das ist also mein Leben 201 + 13

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The narrator, Charlie, feels ashamed after buying a gift for Meryl, who reveals she had already read the book. Charlie takes a long walk and comes home late, where his father tells him to act like a man. The next day at school, Meryl asks where he had been, and Charlie lies about spending the day reading. Later, during a game of Truth or Dare, Charlie kisses Sam, causing tension among his friends. Charlie confides in Patrick about his feelings for Sam, and Patrick suggests Charlie might be gay. Charlie cries, and Patrick drives him home. Charlie listens to music and reads poetry, feeling something is wrong with him. He writes a letter to his friend, mentioning his attempts to connect with others and his struggles with self-worth. Charlie also mentions his family and a visit to his aunt. He concludes by stating that he feels he deserves his current state and wishes he could change. Am nächsten Tag in der Schule, schämte ich Meryl damit aus, bei den Nachzugerspuren. Ich war tatsächlich noch einmal zum Buchladen gefahren und hatte ihr etwas Schönes gekauft. Das erste, was Meryl dazu sagte, war, das ist ja originell. Gerade eben habe ich mir wieder gesagt, dass sie es nicht böse gemeint hat. Sie hat mich nicht veralbert. Sie hat keine Vergleiche gezogen oder Kritik geübt. Wirklich nicht, das kannst du mir glauben. Also erklärte ich ihr, dass bei mir außerhalb der Schule immer besondere Bücher zu lesen gab und dass, wer die Nachzuger stört, das erste dieser Bücher gewesen war. Und dass es mir sehr viel bedeutete. Da sagte sie, danke, das ist wirklich süß von dir. Und dann sagte sie, dass sie es schon vor drei Jahren gelesen hatte und es überbewertet fand und dass sie diesen Schwarz-Weiß-Film mit Gregory Peck und Robert David ausgemacht hatten, der in Oscar für das beste Drehbuch gewonnen hatte. Und irgendwie löste sich etwas in mir, als sie das sagte. Und ich glaube, was sich löste, waren meine Gefühle. Nach der Schule machte ich einen langen Spaziergang und kam erst um ein Uhr nach zu Hause. Als ich meinem Vater erklärte, warum, sagte er nur, ich solle mich wie ein Mann verhalten. Am nächsten Tag in der Schule fragte mich Meryl, wo ich mich deckt hätte. Und ich sagte, ich hätte mir eine Schachtel Zigaretten gekauft, da ins Big Boy gegangen und hätte den ganzen Tag damit verbracht, das Buch von E.E. Cummings zu lesen und Sandwiches zu essen. Ich wusste, ich würde damit kein Risiko eingehen, weil sie mir garantiert keine Fragen zu dem Buch stellen würde und genau so war es auch. Nachdem sie fertig mit Reden war, wusste ich, dass ich es selbst nie lesen würden müsse, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich hätte da wohl ehrlich zu ihr sein sollen, aber ich begann so wütend zu werden wie damals, als ich mit dem Sport aufhören musste und das machte mir ziemlich Angst. Zum Glück begann darauf die Osterferien. Das sorgte für die bitternotwendige Ablenkung. Bill gab mir für die Ferien Hamlet. Er meinte, ich würde sie roh brauchen, um mich wirklich auf das Stück zu konzentrieren. Der einzige Rat, den er mir sonst gab, war, an die Hauptfiguren die gleichen Maßstäbe anzulegen, wie an die Hauptfiguren der anderen Romane, die ich gelesen hatte. Ich solle nur nicht den Fehler machen, zu denken, das Stück wäre zu abgehoben. Gestern an Karfreitag dann, war eine besondere Aufführung der Rocky Horror Picture Show. Das Besondere war, dass sich alle auf die Ferien freuten und etliche noch ihre Kleidung von Gottsdiensten anhatten. Es erinnerte mich an Aschermittwoch. Da kommen manche Schüler mit Asche auf der Stirn zur Schule und irgendwie finde ich das immer aufregend. Nach der Show lud Craig uns alle zu sich ein, um Wein zu trinken und das Weiße Album zu hören. Von den Beatles, Weite Album. Und als wir die Platte gehört hatten, schlug Patrick vor, Weiß oder Pflicht zu spielen. Er spielte das immer gerne, wenn er etwas betrunken war. Rate mal, wer den ganzen Abend über lieber Pflicht als Wahrheit nahm? Ich. Ich wollte Mary Elizabeth einfach nicht singen, an dem Spieler die Wahrheit sagen müssen. Den größten Teil des Abends klappte es ganz gut. Die Aufgaben waren meistens Dinge wie ein Bier auf Ex und so. Doch sein Gab mit Patrick eine Aufgabe und ich glaube wirklich, er wusste nicht, was er da tat. Küss das schönste Mädchen im Raum auf den Mund. Und in dem Moment beschloss ich ehrlich zu sein. Uns hätte kein schlechterer Zeitpunkt geben können. Das Schweigen breitete sich aus, als ich aufstand. Immerhin war es Mary Elizabeth gleich neben mir. Und als ich dann vor Sam in die Knie ging und sie küsste, war das Schweigen unerträglich. Es war kein romantischer Kuss. Es war freundschaftlich. So wie damals, als wir Janis und Robbie spielten. Aber das war völlig egal. Ich könnte auch sagen, dass es der Wein und das Bier waren. Ich könnte auch sagen, dass ich vergessen hatte, wie Mary Elizabeth mich damals gefragt hatte, ob ich sie hübsch fände. Aber das war gelogen. Die Wahrheit ist, als Patrick mir die Aufgabe gab, wusste ich, dass ich sie alle belügen würde, wenn ich Mary Elizabeth küsse. Auch Sam. Auch Patrick. Auch Mary Elizabeth. Und das konnte ich einfach nicht mehr. Selbst wenn es nur ein Spiel war. Es war Patrick, der zuerst etwas sagte. Und er gab sein Bestes, um den Arm zu retten. Er sagte, Na, unser Charlie ist ja wirklich ein Witzwolf. Aber es heißt nichts. Überhaupt nichts. Mary Elizabeth sprang auf und lief ins Bad. Patrick sagte später, sie erträgt es nicht, wenn man die beiden sieht. Sam lief ihr nach, aber vorher drehte sie sich noch einmal zu mir um und sagte, Scheiße, Charlie, was stimmt eigentlich mit dir? Das war der fünftere Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie plötzlich das sagte. Und ihre eisige Stimmung. Es ließ mich ganz plötzlich die Dinge sehen, die sie wirklich waren. Und ich fühlte mich schrecklich. Einfach nur schrecklich. Patrick griff meinen Arm und zog mich aus Quacks Wohnung. Wir gingen runter auf die Straße und alles, was ich fühlte, war die Kälte. Und ich sagte, ich sollte wohl besser wieder rein und mich entschuldigen. Vergiss es, bleib einfach hier. Ich hole Unterjacken. Irgendwann, als ich allein war, musste ich weinen. Es war echtes Weinen und trotzdem war es aus Panik. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Und als Patrick wiederkam, sagte ich Schluss. Ich sollte mich wirklich entschuldigen. Er schüttete den Kopf. Glaub mir, da willst du jetzt nicht rein. Dann ließ er die Autoschlüssel von meinem Gesicht tanzen und sagte, komm, ich fahr dich nach Hause. Im Auto erzählte ich ihm dann alles. Von Billie Holiday und von E.E. Cummings. Und von wer die Nacht egal störte. Und dass Mary Elizabeth für mich nie irgendwas wagte. Und Patrick sagte nur, ein Jammer, dass du nicht schwul wirst. Da weinte ich ein bisschen weniger. Andererseits würde ich bestimmt nicht mit dir ausgehen, wenn du schwul wärst. Du bist eine echte Katastrophe. Da musste ich dann ein bisschen lachen. Und ich dachte, Brad Bentley war eigentlich im Kopf. Mein Gott. Da musste ich noch etwas mehr lachen. Und Patrick machte das Radio an und fuhr mich durch den Tunnel nach Hause. Als ich ausfliege, sagte er, es wäre das Beste, wenn ich mich für eine Weile nicht beübe. Ich glaube, das habe ich schon erzählt. Und er sagte, er würde mich auch anrufen. Danke, Patrick. Schon gut. Weißt du was, Patrick? Wenn ich schwul wäre, würde ich mit dir ausgehen. Ich weiß nicht, wieso ich das sagte, aber es schien mir richtig zu sein. Patrick grinste nur und sagte, klar würdest du das. Dann gab er Gas und fuhr davon. Als ich heute Abend ins Bett ging, habe ich die Billie Holiday Platte aufgelegt und die Gedichte von E.E. Cummings gelesen. Und nach dem Gedicht, das die Hände dieser Frau mit Blumen und Regen verglich, habe ich das Buch weggelegt und bin ans Fenster gegangen. Dort habe ich einfach nur mein Spiegelbild und die Bäume dahinter angestaut. Ohne an irgendetwas zu denken. Ohne irgendetwas zu fühlen. Stundenlang. Irgendwas stimmt wirklich nicht mit mir und ich habe keine Ahnung was. Alles Liebe, Charlie. 26. April 1992 Lieber Freund, Niemand hat mich seither angerufen. Ich bin dir nicht böse, deshalb. Ich habe die Ferien damit verbracht, Hamlet zu lesen. Und du hattest recht. Sobald ich mir den jungen Prinzen wie die Figuren aus den anderen Büchern vorstelle, wurde es viel leichter. Das hat mir übrigens auch bei dem Versuch geholfen herauszufinden, was mit mir nicht stimmt. Es hat mir nicht wirklich Antworten gebracht. Aber es half, zu wissen, dass schon einmal jemand so etwas durchgemacht hat. Besonders jemand, der vor so langer Zeit gelebt hat. Außerdem habe ich Mary Elizabeth angerufen und ihr gesagt, dass ich jeden Abend Billie Holiday höre und E.T. Cummings lese. Aber sie sagte nur, zu spät, Charlie. Ich wollte ihr sagen, dass es mir gar nicht darum ging, weiter mit ihr auszugehen, sondern dass es mir nur um die Freundschaft ging. Aber mir wurde klar, dass das alles nur noch schlimmer machen würde. Also ließ ich es sein. Schließlich sagte ich auch, dass es mir nicht darum ging, weiter mit ihr auszugehen, schließlich sagte ich einfach, es tut mir leid. Und das tat es mir auch. Und sie glaubte mir auch. Das weiß ich. Aber am Telefon herrschte nur betretenes Schweigen. Und da wusste ich, dass es wirklich zu spät war. Einmal hatte ich auch Patrick gemeldet. Aber nur, um ihr zu sagen, dass Craig ziemlich sauer auf mich sei und ich mich weiter fernhalten sollte, bis ich alles geklärt hätte. Ich fragte ihn, ob er etwas unternehmen wolle. Nur er und ich. Er sagte, Brad und seine Familie würden ihn ziemlich beschäftigen. Aber wenn er einmal Zeit hätte, würde er anrufen. Bis jetzt hat er das noch nicht. Ich würde ihr ja von Ostern und Sonntagen mit meiner Familie erzählen, aber ich habe dich schon vor sechs Gelegenheiten erzählt. Und da gibt es wirklich keinen so großen Unterschied. Außer vielleicht, dass mein Vater eine Gehaltserhöhung bekommen hat. Meine Mutter aber nicht, weil sie für Hausarbeit ja nicht bezahlt wird. Und dass meine Schwester aufgehört hat, Bücher über zu wenig Selbstwertgefühl lesen, weil sie nämlich einen neuen Freund hat. Mein Freund hat uns besucht. Aber als ich ihn fragte, ob seine Freundin mein Ausland überworden gelesen hatte, sagte er Nein. Weil sie nämlich mit ihm Schluss gemacht hat, als sie herausfand, dass er sie betrug. Das war schon eine Weile her. Ich fragte ihn, ob er meine Aufsatz lesen hätte. Und er sagte Nein, weil ich da viel zu tun habe. Er sagte, vielleicht in den Ferien. Und er würde sich melden. Bis jetzt hat er das noch nicht. Also ging ich Tante Helen besuchen. Und zum ersten Mal im Leben, heißt das auch nicht. Und ich habe versucht, mich an meine letzte gute Woche zu erinnern. So wie ich es mir vorgenommen hatte. Aber auch das heißt nicht. Ich weiß, dass ich mir das alles selber zu Schluss schreiben habe. Ich weiß, dass ich es verdiene. Ich würde alles tun, um nicht so zu sein. Ich würde alles tun, um es wieder gut zu machen. Und um nicht von diesem Psychiater zu wissen, der mir etwas von passiv-aggressiver Störung erzählt. Und um nicht die Tabletten nehmen zu müssen, die es mir gibt und die meinem Vater zu teuer sind. Und um nicht mit ihm über schlimme Erinnerungen zu reden müssen. Ich wünschte einfach nur Gott oder meine Eltern oder Sam oder meine Schwester. Oder irgendwer wird mir sagen, was mit mir nicht stimmt. Mir sagen, wie ich mich verhalten soll, damit das alles einen Sinn ergibt. Damit alles vorüber geht. Ich weiß, dass ich nicht so denken soll. Weil es ja meine Verantwortung ist. Und ich weiß, dass erst alles schlimmer wird, bevor es besser wird. Weil das mein Psychiater gesagt hat. Aber allmählich kann ich nicht mehr. Nachdem ich eine Woche mit niemandem geredet hatte, habe ich schließlich Bob angerufen. Er ist klar, dass es keine gute Idee war. Aber ich wusste einfach nicht, was ich sonst machen sollte. Ich fragte ihn, ob er mir etwas verkaufen könne. Und er sagte, 5 Gramm Gras hätte er irgendwie übrig. Also habe ich eine von meinem Ostergeld genommen und die 5 Gramm gekauft. Ich rauche es die ganze Zeit. Alles Liebe, Charlie Kapitel 4 29. April 1992 Lieber Freund, ich wünschte, ich könnte dir schreiben, dass es mir wieder besser geht. Aber das tut es nicht. Schon deshalb, weil wir wieder Schule haben und ich nicht mehr an dieselben Plätze gehen kann wie früher. Nichts kann mehr so sein wie früher. Und ich war noch nie so weit, Liebe wohl zu sagen. Um ehrlich zu sein, bin ich einfach alles aus dem Weg gegangen. In der Schule wandere ich durch die Gänge und beobachte die Leute. Ich beobachte die Lehrer und frage mich, weshalb sie hier sind. Ob sie ihre Jobs mögen. Oder uns. Und ich frage mich, wie schlau sie eigentlich mit 15 gewesen sind. Nur so als Neugierde. Ich beobachte die Schüler und fragte mich, wer von ihnen gerade Liebeskummer hat. Und wie sie damit klarkommen. Dazu noch drei Hausarbeiten und den Aufsatz am Hals zu haben. Ich frage mich, wer an dem Liebeskummer Schuld hat. Weil ich weiß, dass die Leute mit Liebeskummer, wenn sie auf eine andere Schule gehen würden, irgendjemand anderem Liebeskummer hätten. Warum muss das alles immer so persönlich sein? Wenn ich auf eine andere Schule gehen würde, hätte ich nie Sam oder Patrick oder Mary Elizabeth oder irgendwen sonst außer meiner Familie kennengelernt. Neulich war ich im Einkaufszentrum. Tatsächlich bin ich die letzten zwei Wochen jeden Tag dorthin, um zu verstehen, warum Menschen da eigentlich hingehen. Das ist so eine Art privates Projekt von mir. Erstmals war dieser kleine Junge, vielleicht vier Jahre alt. Und der weinte ganz schlimm. Und ich immer wieder nach seiner Mutter. Er musste sie verloren haben. Dann war dieser andere Junge, vielleicht 17. Bestwohl auf einer anderen Schule, denn ich hatte ihn noch nie gesehen. Und dieser ältere Junge, der wirklich tough aussah. Mit Lederjacke, langem Haar und allem. Ging zu dem kleinen Jungen und fragte ihn nach seinem Namen. Der kleine Junge antwortete und hörte zu weinen auf. Dann ging der ältere Junge mit dem kleinen Jungen weg. Kurz darauf kam aus den Lautsprechern die Mitteilung, dass die Mutter ihren Jungen am Infoschalter abholen könne. Also bin ich hin, um zu sehen, wie es weiter ging. Ich vermute, dass die Mutter schon eine ganze Weile nach dem Kleinen gesucht hatte. Denn sie kam zum Infoschalter gerannt und fing an zu weinen, als sie ihn sah. Dann drückte sie ihn ganz fest und sagte, dass er nie wieder weglaufen dürfte. Und dann bedankte sie sich bei dem älteren Jungen für dessen Hilfe. Doch alles, was der ältere Junge sagte war, passt künftig halt besser auf ihn auf, verdammte Scheiße. Und dann ging er weg. Der bärtige Mann am Infoschalter war völlig perplex, genau wie die Mutter. Der kleine Junge aber putzte sich die Nase, satzte der Mutter hoch und rief, ich will Pommes. Die Mutter sah den kleinen Jungen an und nickte. Dann zogen sie los und ich folgte ihnen. Sie gingen zu einem der Imbissstände und kauften eine Portion Pommes. Der kleine Junge lächelte und bekleckerte sich mit Ketchup. Und die Mutter wischte ihm immer wieder das Gesicht ab, während sie hektisch ihre Zigarette rauchte. Ich beobachtete die Mutter und dachte dabei nach, wie sie ausgesehen hatte, als sie noch jung war und als sie verheiratet war. Und ob der Junge ein Unfall oder geplant gewesen war. Und ob das alles überhaupt einen Unterschied macht. Dann beobachtete ich andere Leute. Alte Männer, die allein da saßen. Mädchen mit blauen Lidschatten und komischen Mündern. Kleine Kinder, die müde wirkten. Väter in teuren Anzügen, die noch müder wirkten. Junge Bedingungen an den Imbissständen, die aussahen, als hätten sie jeglichen Lebenswillen verloren. Die Kassen öffneten sich und schlossen sich. Die Leute gaben ihre Scheine her und erhielten die Wechselgeld dafür. Und das alles fühlte sich wirklich sehr beunruhigend an. Also beschloss ich, woanders hinzugehen, um zu verstehen, warum die Leute dort hingehen. Leider gibt es nicht allzu viele solcher Orte. Ich weiß nicht, wie lange ich ohne einen Freund noch durchhalte. Früher fiel mir das leicht, aber das war, bevor ich wusste, wie es ist, einen Freund zu haben. Manchmal ist es wirklich besser, wenn man keine Ahnung hat. Denn es reicht mit seiner Mutter, eine Portion Pommes zu essen. Der einzige Mensch, außer meiner Familie, mit dem ich in den letzten zwei Wochen geredet habe, war Susan. Die früher mal mit Michael ging, als sie noch ihre Zahnspange hatte. Ich sah sie in der Schule und ringte an einer Gruppe Jungs, die ich nicht kannte. Und die lachten und rissen schmutzige Witze. Und Susan gab sich große Mühe, mitzuhalten. Als sie mich bemerkte, wurde ihr Gesicht ganz fahlen. Es war fast, als wollte sie sich nicht daran erinnern, wie sie vor zwölf Monaten gewesen war. Und ganz sicher wollte sie nicht, dass die Jungs mitbekommen, dass sie mich kannte. Ja, dass sie einmal in meiner Freundin gewesen war. Die Jungs um sie herum verstummten und starrten mich an. Aber ich nahm sie nicht einmal wahr. Ich sah nur Susan an und sagte, vermisse ihn mal nicht mal. Ich meinte es nicht böse oder vorwurfsvoll. Ich wollte einfach nur wissen, ob irgendjemand außer mir Michael vermisste. Ehrlich gesagt war ich ziemlich stoned. Und die Frage ging mir nicht aus dem Kopf. Susan war völlig aus von der Rolle. Es waren die ersten Worte, die wir dieses Jahr gewechselt hatten. Und es war vermutlich nicht fair von mir, sie das vor der ganzen Gruppe zu fragen. Aber ich traf sie praktisch nie allein. Ich musste es einfach wissen. Zuerst dachte ich, die Leere in ihrem Gesicht wäre ein Ausdruck der Überraschung. Aber als ich dann gar nicht mehr wegging, wurde mir klar, dass mich geirrt hatte. Mir wurde klar, dass Susan, wenn Michael noch hier wäre, vermutlich gar nicht mehr mit ihm gehen würde. Nicht weil er ein schlechter Mensch war oder oberflächlich oder gemein, sondern weil sich Dinge eben ändern. Weil Freunde einen verlassen, weil das Leben für niemanden eine Ausnahme macht. Tut mir leid, dass ich dich gestört habe, Susan. Es geht mir nicht so besonders. Das ist alles. Mach's gut, sagte ich und ging. Mann, der Typ ist ja dermaßen gestört, wie ich einen der Jungs fristern, als ich schon halb den Gang runter war. Er sagte, es sei eher sachlich als gemein, und Susan widersprach ihm nicht. Ich weiß selbst nicht, ob ich ihm widersprochen hätte. Alles Liebe, Charlie. 2. Mai 1992 Lieber Freund, vor ein paar Tagen bin ich wieder zu Bob, um noch mehr Gras zu kaufen. Ich vergesse immer wieder, dass Bob nicht auf unsere Schule geht. Vielleicht, weil er mehr Fernsehen als irgendwer sonst nicht kennt. Unglaublich, was er alles so weiß. Sollte es immer über Sitcoms verreden werden. Das ist faszinierend unheimlich. Bob lebt auf seine ganz eigene Weise. Er sagt, dass er nur jeden zweiten Tag duscht und dass er seinen Vorrat jeden Tag bietet. Er sagt, wenn man mit jemandem eine Zigarette raucht und ein Feuerzeug hat, sollte man zuerst dem anderen Feuer geben. Wenn man aber Streichholz hat, sollte man zuerst seine eigene Zigarette anzünden, damit man der ist, der den schädlichen Schwefel einatmet. Er sagt, das sei eine Frage der Höflichkeit. Er sagt auch, dass es Unglück bringt, wenn man drei Zigaretten mit dem gleichen Streichholz anzündet. Das hat ihm sein Onkel erzählt, der im Vietnamkrieg war. Man bringt deshalb Unglück, weil drei Zigaretten dem Feind genug Zeit geben, einen zu entdecken. Bob sagt, wenn man sich allein eine Zigarette anzündet und die ja nur halb an ist, heißt das, dass jemand gerade an ihr denkt. Er sagt auch, wenn man einen Penny befindet, bringt er einen nur Glück, wenn er mit der richtigen Seite nach oben liegt. Er sagt, das Beste überhaupt ist, einen Glückspenny mit jemandem zusammen zu finden und dann dem anderen sein Glück abzugeben. Bob glaubt am Karma. Er spielt auch gerne Karten. Bob geht halbtags auf die Berufsschule. Er will später einmal Koch werden. Er ist ein Einzelkind und seine Eltern sind nie daheim. Er sagt, früher hat ihm das etwas ausgemacht, aber jetzt nicht mehr. Das Problem mit Bob ist, dass er total interessant wirkt, wenn man ihn erst ein paar Mal trifft, weil er sich mit Zigaretten regeln und Pennys und Sitcoms auskennt. Aber wenn man ihn erst eine Weile kennt, beginnt er sich zu wiederholen. Die letzten Wochen hat er nichts erzählt, dass ich nicht zu MRI gehört hätte. Deshalb war es so ein Schock für mich, als er mir erzählte, was passiert war. Brads Vater hatte Brad und Patrick erwischt, als sie gerade zusammen waren. Offenbar hatte Brads Vater das von seinem Sohn nicht gewusst, der hat angefangen Brad zu schlagen. Und nicht nur aufregen, sondern mit dem Gürtel. Und richtig fest. Patrick sagte Sam und sie sagtes Bob, dass sie etwas so etwas noch nie erlebt hatte. Er wollte aufhören rufen und sie bringen ihn um und dazwischen gehen. Aber irgendwas rief ihn ab. Und Brad rief die ganze Zeit, Patrick hau ab. Und schließlich hat Patrick genau das getan. Das war letzte Woche. Brad ist seither nicht mehr zur Schule gekommen. Einige meinen, dass er vielleicht auf eine Militärschule geschickt wurde oder so etwas. Aber niemand weiß genauer was. Patrick hat versucht ihn anzurufen, aber aufgelegt, dass Brads Vater an den Apparat ging. Bob sagt, Patrick sei in schlechter Verfassung. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie traurig ich da wurde, weil ich Patrick anrufen und sein Freund sein und ihm helfen wollte. Aber ich wusste nicht, ob ich das wirklich tun sollte. Denn er hätte mir ja gesagt, ich solle mich fernhalten, bis ich alles geklärt hatte. Das Problem war nur, dass ich an gar nichts anderes mehr denken konnte. Also bin ich am Freitag in die Rocky Horror Picture Show gegangen. Ich bin erst rein, als der Film schon lief. Ich wollte niemanden den Arm verderben. Ich wollte einfach nur sehen, wie Patrick Frank-N-Furter spielte. Denn ich wusste, wenn er das tat, dann würde alles wieder gut werden. So wie bei meiner Schwester, als sie wütend wurde, weil ich rauchte. Ich saß in der letzten Reihe. Es waren ein paar Szenen, wo Frank-N-Furter auftrat. Da sah ich Sam, wie sie Janet spielte. Und ich vermisste sie so sehr. Und es tat mir so leid, dass ich alles kaputt gemacht hatte. Besonders, als ich dann Mary Elizabeth sah, die Magenta spielte. Es war wirklich schlimm, ihnen zuzusehen. Doch dann kam Patrick als Frank-N-Furter auf die Bühne und er war toll. Ja, eigentlich war er noch besser als sonst. Und plötzlich fühlte es sich wunderschön an, all meine Freunde zu sehen. Ich ging allerdings, bevor der Film vorbei war. Auf der Fahrt nach Hause hörte ich mir einige der Lieder von jenem Abend an, als wir grenzenlos gewesen waren. Und ich tat, als sießen meine Freunde bei mir im Auto. Ich unterhielt mich sogar laut mit ihnen. Ich sagte Patrick, wie toll ich ihn fand. Ich fragte Sam nach Craig. Ich sagte Mary Elizabeth, dass es mir leid tat, wie gut mir das Buch von E.E. Cummings gefallen hatte. Und dass ich sie gern ein paar Sachen abfragen wollte. Und dann hörte ich wieder auf damit, weil es mich zu traurig machte. Und weil, wenn mich irgendwelche Leute alleine im Auto Selbstgespräche führen sahen, mich ihre Gesichter womöglich davon überzeugen würden, dass das, was mit mir ohnehin nicht stimmte, noch schlimmer war, als ich ohnehin dachte. Zu Hause sahen sich gerade meine Schwester und ihr neuer Freund einen Film an. Allzu viel fällt mir zu ihm nicht ein, außer dass er Eric heißt, kurzes H hat und in die Elfte geht. Eric hatte den Film ausgeliehen. Nachdem wir uns die Hand gestellt hatten, fragte ich, was sie sich da ansahen, denn ich kannte den Film nicht. Nur einer Schauspieler, der hatte nicht einmal im Fernsehen mitgespielt, aber ich kam nicht mehr darauf, der hatte einmal in einer Fernsehserie mitgespielt, aber ich kam nicht mehr darauf, wie er hieß. Meine Schwester sagte, der Film ist ziemlich blöd, weil er dem nicht gefallen. Ich sagte, worum geht's denn? Sie sagte, es ist schon fast vorbei. Ich sagte, kann ich das Ende mit euch sehen? Sie sagte, du kannst sogar den ganzen Film sehen, wenn wir fertig sind. Aber ich fand auch, das Ende mit euch sehen, dann zurückspielen und dann sehen, bis wo ich mit euch gesehen habe. So rief er auf Pause und sagte, Charlie, weißt du eigentlich, was ein Link mit dem Zaunfall ist? Was? Wir würden gerne allein sein. Oh, tut mir leid. Natürlich wusste ich, dass er mit Eric allein sein wollte. Ich wollte einfach nicht allein sein. Schließlich sah ich ein, dass es unfair war, ihr den Abend zu verderben. Nur, weil ich alle so vermisste. Also sagte ich, gute Nacht. Ich bin auf mein Zimmer und habe Bills neues Buch angefangen. Es heißt, Der Fremde. Bill sagte, es ist zu lesen sehr leicht, aber es ist richtig zu lesen sehr schwer. Ich habe keine Ahnung, was er damit meint. Bisher jedenfalls gefällt es mir. Alles Liebe, Charlie. Gezählte Tage Als John Lennon seine Seele verkaufte. Jack, bitte sag Joko nichts, wenn sie wiederkommt. Aber ich habe das dringende Gefühl, dass meine Tage gezählt sind. Vielleicht sogar meine Stunden. Was erzählst du da, John? Doch glaub mir, mein ganzes Leben war vorbestimmt. Ich glaube an alles, bevor es nicht wiederlebt ist. Ich glaube an die Märchen und an die Mythen, an die Drachen. Das alles existiert. Selbst wenn es nur in deinem Kopf ist. Wer sagt uns denn, dass Träume und Albträume nicht genauso real sind, wie das hier und jetzt? John Lennon. Tony Sheridan erzählte mir später, dass John Lennon sich stark für okkulte Dinge interessierte. Tony war auch mit ihm einmal in Hamburg bei einer Seance gewesen. Einer spiritistischen Sitzung. Dort hatte ihm Lennon gesagt, ich weiß, dass die Beatles Erfolg haben werden, wie noch keine andere Gruppe. Ich weiß es genau, denn für diesen Erfolg habe ich dem Teufel meine Seele erkauft. Ausriss aus Pop mit Melody Maker. Aus Gabel 23, 1976, Seite 11. Nun, ich habe so hart versucht, noch am Leben zu bleiben. Aber der Engel der Zerstörung haut mich immer um. Help me to help myself. John Lennon, 1980. Für den wunderbaren John Henry. Prolog im Himmel. Siehst du den Punkt? Siehst du den Punkt dort hinten? Welchen von den Zielen, Vater? Links, die Sonne, die wir uns noch nicht übersehen können. Ja, strecke deinen Arm aus und nimm deine Hand. Halte sie so. Der kleine Finger am rechten Rand der Sonne. Der Daumen auf der anderen Seite, abgewinkelt nach rechts. Und jetzt, genau an der Spitze deines Daumens, siehst du diesen kleinen blauen Punkt. Ja, jetzt sehe ich ihn. Das ist die Erde. Das ist die Erde? Ja, du erinnerst dich sicher. Lange her, am Natürlichen erinnere ich mich. Es hat sich dort viel getan unten. Und gleichzeitig auch nichts. Was meinst du? Wir sind jetzt 1930 Jahre weg gewesen, seit du die Liebe unter die Menschen gebracht hast. So lange? Dein Gefühl von Raum und Zeit war auch mal besser, Junge. Entschuldige, Vater, erzähl weiter. Seitdem hat die Menschheit einen sagenhaften Aufschwung genommen. Die Menschen wohnen in immer höheren Häusern. Sie sind in den Tiefen ihrer Meere unterwegs und in Orbit ihres Planeten. In neun Jahren werden sie zum Mond fliegen. Wow. Ja, das klingt nach wow. Aber das ist es nicht. Wir können nicht zufrieden sein. Diese Entwicklung wurde begleitet von Kriegen und Aggression, von Hass, Neid und Gier. Unglaublicher Gier. Hunderte Millionen Opfer. Der Draht zu uns funktioniert kaum noch. Wobei viele gar nicht wissen, dass sie ihn je gab. Sie sind vom Weg abgekommen. Die dunkle Seite hat die Führung übernommen. Sie hat den Menschen die Liebe ausgetrieben und sie ersetzt durch ein Glücksgefühl, das ausgelöst wird von den Verführungen der materiellen Welt. Oh nein, das ist wirklich schlimm. Und es wird noch viel schlimmer werden. Viel schlimmer. Ich habe von einem Plan erfahren. Die Regenten der dunklen Seite wollen wieder runter. Sie haben sich einen Menschen ausgesucht. Eine Seele, die wir vor Jahrtausenden dort abgesetzt haben. Sie wollen sie nutzen, um etwas über die Menschheit zu bringen, das aussieht wie Liebe. Aber es ist keine Liebe. Es fühlt sich im ersten Moment nur so an. Ich ahne, ich muss auch wieder runter, nicht wahr? Nein, das dürfen wir nicht. Das weißt du. Die Menschen müssen es bis zu einem bestimmten Punkt alleine schaffen. Aber... Aber was? Es könnte sein, dass wir diesem einen Individuum Impulse senden müssen, wenn es hart auf hart kommt. Wer ist dieser Mensch? Ich kann ihn dir kurz zeigen, wenn du noch ein bisschen Zeit hast. Für dich immer mein Vater. Ich navigiere uns etwas näher ran. Direkt siehst du dort diese Landmasse. Europa heißt sie heute. Da oben, kurz vor dem Meer, ist dort diese riesige Mündung. Klar? Ja, sehe ich. Wenn du von dort landeinwärts gehst, siehst du diese Lichter einer großen Stadt. Das ist Hamburg. Da lebt er gerade und versucht sich als Musiker. Und verrätst du mir seinen Namen? Sein Name ist John Lennon. Erstens. Der Pakt. Wie der Held nie gesungen wurde. John Lennon. Erinnere dich. Sie hingen da unten, gerade so von der Stuhllinie gehalten. Oft mit einer Nutt auf dem Schoß oder auf Zweien. Auf dem Tischchen ihr Bier und ihr Schnaps. Die Deutschen sagten, herangedeckt dazu. Das waren keine Leute, die uns in Rock'n'Roll suchten. Das waren vom Krieg gezeichnete Arbeiter oder Metzgerhündchen. Vergruppelte Freier, ehemalige Flakhelfer oder Kampfsieger, die vielleicht in genau der Nacht ihre Scheißbomben auf Liverpool abgeworfen haben, als ich meiner Mutter aus dem Leib kroch. Und jetzt, exakt 20 Jahre später, sah sie da. Glotzen zu Paul, George, Stuart, Pete und mir hoch. Auf diese brüchige Bühne und grölten irgendein Schwachsinn, den ich auch nur fetzenweise verstand. Hat da einer lauter geschrien? Shut up you fucking Nazi, saug dein Zeug und halt die Fresse. Bruno Koschmider, ein Zirkusartist außer Dienst und Kiez-Clubbeschreiber, zahlte jedem von uns 30 Mark die Nacht. Sechs Stunden am Stück. Vollgas. Das war für den Anfang nicht schlecht, aber dieses derangierte Publikum. Koschmider stachelte uns an, keine einzige Sekunde Langeweile aufkommen zu lassen. Die Leute sollten so ausgedehnt wie möglich bleiben, um ihr Geld in Alkohol umzutauschen. Der Deutsche trinkt viel, wenn er Zeit hat. Und wenn er keine Zeit hat, trinkt er auch viel, nur schneller. So oder so, wir spielten vor den Jagungsbesten eines Säuferheims. Kurz nachdem wir dank des Liverpool-Art-Band-Promoters Alan Williams im August 1960 per VW-Bus, vollgestopft mit In-Promoters, vollgestopft mit Instrumenten, grässlichen, fieberfarbenen Bühnenjackets und einer Kiste frischgebackener Stones, das erste Mal nach Hamburg gekommen waren und unseren ersten Vertrag im versunkenen Indra fast erfüllt hatten, erfuhren wir, dass Koschmider einen zweiten Laden besaß. Den Kaiserkeller. Ein paar Meter die große Freiheit runter. Etwas größer, etwas schicker, etwas teurer. Und deshalb mit einem etwas anderen Publikum. Und wenn ich etwas sage, dann erwarte ich nur etwas besser. Aber immerhin. Ich lieb dich.

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